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Collaborative Engagement in ESG-Angelegenheiten und die Zurechnung von Stimmrechten (Favoccia/Maier, AG 2024, 148)

Es gibt immer mehr Plattformen, die es Investoren ermöglichen sollen, sich über ESG-Belange von Portfoliounternehmen auszutauschen und ihren Einfluss zu bündeln. Collaborative Engagements können jedoch zu einer gegenseitigen Zurechnung von Stimmrechten („acting in concert“) nach WpHG und WpÜG führen und drastische Folgen auslösen. Es ist daher unerlässlich, im Einzelnen zu analysieren, welche Form der Zusammenarbeit derzeit überhaupt denkbar ist.

I. Einleitung
II. Formen des Collaborative Engagements

1. Formelles Collaborative Engagement
2. Informelles Collaborative Engagement
III. Collaborative Engagement als Acting-in-Concert nach WpHG/WpÜG
1. Acting in concert nach § 30 Abs. 2 WpÜG, § 34 Abs. 2 WpHG
2. Subsumtion: Welches Collaborative Engagement ist ein acting-in-concert?
a) Formelles Collaborative Engagement
aa) Gemeinsames Abstimmen
bb) Gemeinsame Ausübung sonstiger Aktionärsrechte
b) Informelles Collaborative Engagement
IV. Schlussfolgerung: Wie sollten Investoren damit umgehen?


I. Einleitung

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Die BaFin hat in einem Beitrag im letzten Jahr ihre Auffassung zur Stimmrechtszurechnung bei sog. Collaborative Engagements zwischen Investoren in ESG-Angelegenheiten dargelegt. Diese Ausführungen sind Anlass für die folgende, ausführlichere Auseinandersetzung mit solchen Absprachen zwischen Investoren und der dadurch gegebenenfalls ausgelösten Stimmrechtszurechnung.

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Das aus dem angelsächsischen Raum stammende sog. Stewardship-Konzept ist schon längst nicht mehr von rein wissenschaftlich dogmatischem Interesse. Gerade in Bezug auf ESG-Belange spielt es in der Praxis und in der Regulatorik mittlerweile eine große Rolle. Der Sache nach geht es um eine verantwortungsvolle Überwachung der Unternehmensführung sowie die aktive Nutzung der Aktionärsrechte bei börsennotierten Unternehmen durch institutionelle Investoren im Interesse ihrer Kunden. Dahinter steht die Forderung an diese Investoren, zu einer funktionierenden Corporate Governance beizutragen. Vor dem Hintergrund eines weisungsfrei handelnden Vorstands (§ 76 Abs. 1 AktG) und Aufsichtsrats (§ 111 Abs. 6 AktG) erscheint die Instrumentalisierung der Aktionäre auf den ersten Blick wie ein stumpfes Schwert. Doch sollte nicht unterschätzt werden, welchen faktischen Einfluss insbesondere die großen institutionellen Aktionäre auf die Unternehmensverwaltung haben. Dazu gehört nicht nur der rechtliche Einfluss, der etwa über die Ausübung des Stimmrechts bei der Wahl des Aufsichtsrats vermittelt wird. Auch das Formulieren klarer Erwartungen an das Management des Unternehmens kann ein wirkungsvolles Instrument sein, wie etwa öffentliche Briefe des Chefs des weltweit größten Vermögensverwalters Blackrock, Larry Fink, an alle seine Stakeholder (einschließlich der Unternehmen, in die die Kunden von Blackrock investieren) eindrucksvoll zeigen. Und das Risiko von Schadensersatzklagen von Aktionären wegen einer Unternehmenspolitik, die Nachhaltigkeitsbelangen nicht angemessen Rechnung trägt, verschafft den Aktionären ebenfalls zunehmend Gehör; diese Fälle sind noch selten aber durchaus ernst zu nehmen.

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Das Akronym ESG wurde zwar in letzter Zeit zunehmend kritisiert – von den einen als idiologisch und von anderen als in sich widersprüchlich. Indes besteht nach wie vor unter zahlreichen Unternehmen, Investoren, Vermögensverwaltern und deren Kunden ein Konsens darüber, dass die dahinterstehenden Konzepte (beispielsweise die Dekarbonisierung und die Achtung der Menschenrechte entlang der Wertschöpfungskette) für die Unternehmensführung immer wichtiger werden. Dies zeigt sich etwa darin, dass Larry Fink zwar erklärt hat, wegen der hitzigen politischen Debatte über den Begriff ESG auf dessen Verwendung zu verzichten, diese Aspekte für ihn und BlackRock jedoch nicht an Bedeutung verloren hätten. Verstärkte Berücksichtigung finden ESG-Ziele bei Investoren nicht zuletzt deshalb, weil die Stimmrechtsberater diese in ihren Voting Guidelines ebenfalls in den Blick genommen haben.

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Die Ausdehnung des Stewardship-Konzepts auf ESG-Belange lässt sich auch an den aktuelleren Beispielen aus der Wirtschaft erkennen. So gewann Engine No. 1, ein selbst nur geringfügig beteiligter aktivistischer Hedgefonds, 2021 die Unterstützung der drei größten Investoren von ExxonMobil, zudem von beteiligten Pensionsfonds und von führenden Stimmrechtsberatern und war dadurch mit seinem Antrag, drei unabhängige Direktoren in das Board of Directors zu berufen, erfolgreich. Hintergrund war, dass ExxonMobil nach Auffassung von Engine No. 1, den Klimawandel in dem eigenen Geschäftsmodell unzureichend berücksichtigt hatte. Insgesamt ist festzustellen, dass Vermögensverwalter und institutionelle Investoren in zunehmendem Maß ESG-Faktoren in ihren Portfolio- oder Beteiligungsunternehmen Aufmerksamkeit schenken. International gibt es deshalb immer mehr Plattformen, die Investoren und Vermögensverwaltern einen Rahmen bieten, um sich u.a. über die Nachhaltigkeitspolitik von (potentiellen) Beteiligungs- oder Portfoliounternehmen auszutauschen, an denen sie Anteile halten oder zu erwerben bzw. zu veräußern beabsichtigen.

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Solche Absprachen unter Investoren können national, aber auch international Tatbestände von Stimmzurechnungsvorschriften erfüllen. Dies kann erhebliche Folgen (Meldepflichten, Rechtsverlust, Bußgeld, Pflicht zur Abgabe eines Übernahmeangebots etc.) für die beteiligten Investoren haben. Aus diesem Grund ist es wichtig, zwischen den verschiedenen Formen der Zusammenarbeit präzise zu unterscheiden und herauszuarbeiten, welche Formen des Collaborative Engagements es gibt, wann diese den Tatbestand des „acting in concert“ erfüllen und wie Investoren bestmöglich in ESG-Angelegenheiten zusammenarbeiten können, ohne zu riskieren, dass ihnen die Stimmrechte aus ihren Beteiligungen gegenseitig zugerechnet werden.

II. Formen des Collaborative Engagements
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Wenn Investoren zusammenarbeiten wollen, um ein Unternehmen in eine Richtung zu lenken bzw. zu beeinflussen, können sie sich formeller und/oder informeller Maßnahmen bedienen. Formell sind Maßnahmen, die den Investoren aufgrund ihrer Stellung als Gesellschafter zustehen, d.h. die Ausübung von Aktionärsrechten. Informell ist hingegen jede andere Form von Einflussnahme, etwa Hintergrundgespräche zwischen Investoren und dem Vorstand oder Aufsichtsrat eines Unternehmens, (öffentliche) Briefe an das Management und Medienkampagnen.

1. Formelles Collaborative Engagement
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Für ein formelles Collaborative Engagement von zwei oder mehreren Investoren kommen insbesondere die Ausübung von Stimm‑, Frage- und Rederechten (§§ 131 ff. AktG) in der Hauptversammlung in Betracht, ferner Gegenanträge und eigene Wahlvorschläge zu den Beschlussvorschlägen der Verwaltung (§§ 126, 127 AktG) und die Erhebung von Nichtigkeits- bzw. Anfechtungsklage (§§ 241 ff. AktG). Denkbar ist aber auch die Abstimmung in Bezug auf die Ausübung von Minderheitsrechten, etwa durch ...



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 08.03.2024 14:41
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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