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Judgement Rule und Transaktionen - Boni, Fairness Opinions und der Teufel im Detail (Ganzer, AG 2024, 184)

Der vorliegende Beitrag widmet sich bislang nur oberflächlich behandelten Fragen in Bezug auf die Anwendbarkeit der Business Judgement Rule im Rahmen von Transaktionen. So erläutert er, wann die Incentivierung der Entscheidungsträger einen relevanten Interessenkonflikt begründen kann. Daneben legt er die Voraussetzungen dar, die eine Fairness Opinion erfüllen muss, um das Haftungsrisiko der Verwaltung tatsächlich reduzieren zu können.

I. Einleitung
II. Transaktionen als klassischer Anwendungsfall eines unternehmerischen Ermessens
III. Interessenkonflikte und Incentivierung der Entscheidungsträger

1. Kriterien für einen schädlichen Interessenkonflikt
2. Mögliche Formen der Incentivierung im Zusammenhang mit Transaktionen
a) Transaktionsboni
aa) Transaktionsboni bei der Erwerberin
bb) Transaktionsboni bei der Verkäuferin
cc) Transaktionsboni bei der Zielgesellschaft
b) Haltebonus
c) Management-Beteiligungs-Programme
d) An Zielvorgaben gebundene variable Vergütung
e) Sonstige denkbare Interessenkonflikte
IV. Fairness Opinion als angemessene Informationsgrundlage
1. Fairness Opinion als typischer Bestandteil von Unternehmenstransaktionen
2. Bewertung im Hinblick auf die Vorgaben zur Einholung von Expertenrat
a) Fehlende Unabhängigkeit aufgrund Vorbefassung
b) Fehlende Unabhängigkeit aufgrund der Incentivierung des Erstellers der Fairness Opinion
c) Auflösung des Problems durch Einholung einer Second Opinion?
V. Zusammenfassung


I. Einleitung

1
Transaktionen gehören zu den fundamentalsten Entscheidungen, die maßgeblich über die zukünftige Entwicklung der beteiligten Unternehmen entscheiden. Entsprechend groß ist der Druck auf die beteiligten Entscheidungsträger. Umso wichtiger ist es, die persönlichen Haftungsrisiken der Beteiligten zu minimieren. Hierfür steht prinzipiell die Business Judgement Rule des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG zur Verfügung, bei deren Einhaltung eine Haftung der Organmitglieder ausscheidet. Soweit die gute Nachricht.

2
In der Praxis steckt der Teufel jedoch im Detail. Die Business Judgement Rule findet dort keine Anwendung, wo die Entscheidungsträger einem Interessenkonflikt unterliegen. Dies wirft die Frage auf, ob und wann die persönliche Incentivierung der Beteiligten einen solchen Konflikt begründen kann. Überdies kommt ein unternehmerisches Ermessen nur dann in Betracht, wenn die Entscheidung über die Transaktion ausreichend vorbereitet worden ist. Dies gilt gerade auch im Hinblick auf die wirtschaftliche Bewertung. In der Praxis sichern sich die Entscheidungsträger vielfach durch die Einholung einer Fairness Opinion ab. Damit diese zur Enthaftung beitragen kann, sind strenge Vorgaben einzuhalten. Andernfalls wird die Fairness Opinion zum nutzlosen Stück Papier.

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Die nachfolgende Untersuchung geht zunächst kurz auf die Rolle der Business Judgement Rule bei der Haftungsvermeidung im Zusammenhang mit Unternehmenstransaktionen ein (s. II., Rz. 4 ff.). Sodann wird erläutert, inwiefern die Incentivierung der Entscheidungsträger einen Interessenkonflikt begründen kann, der eine Berufung auf ein unternehmerisches Ermessen ausschließt (s. III., Rz. 10 ff.). Abschließend erläutert der Beitrag, welche Voraussetzungen eine Fairness Opinion erfüllen muss, um den Entscheidungsträgern als angemessene Informationsgrundlage zu dienen (s. IV., Rz. 35 ff.).

II. Transaktionen als klassischer Anwendungsfall eines unternehmerischen Ermessens
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Wie an anderer Stelle bereits aufgezeigt, gilt die strenge Vorstandshaftung nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG nicht nur für die Aktiengesellschaft, sondern rechtsformübergreifend für die SE, die GmbH und die Genossenschaft. Eine Enthaftung kommt jedoch nach den Grundsätzen der in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG niedergelegten Business Judgement Rule in Betracht.

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Diese ist unter vier Voraussetzungen anwendbar:

  • Bei der fraglichen Maßnahme handelt es sich um eine unternehmerische Entscheidung (d.h. die Entscheidungsträger sind nicht bereits durch Satzung, Geschäftsordnung oder Gesetz zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet).
  • Sie handeln aufgrund einer angemessenen Informationsgrundlage.
  • Die Entscheidungsträger treffen ihre Entscheidung frei von Interessenkonflikten.
  • Sie sind gutgläubig (d.h. sie sind selbst davon überzeugt, dass die Maßnahme im Interesse des Unternehmens erfolgt).

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Liegen alle vier Voraussetzungen vor, scheidet eine Haftung aus (sog. „Safe Harbor“). Bei der Entscheidung für und wider eine Transaktion, insbesondere eine öffentliche Übernahme oder private M&A Transaktion, handelt es sich um ein Paradebeispiel für unternehmerische Entscheidungen. Dies gilt gerade auch für die Frage, ob der Kaufpreis sowie andere Formen der Gegenleistung aus Sicht von Käufer und Verkäufer angemessen sind. Im Transaktionsbereich steht § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG
also grundsätzlich zur Verfügung, um das Haftungsrisiko der Entscheidungsträger zu reduzieren.

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All dies ist unstreitig. Zunehmend problematisch ist jedoch die Frage, was gilt, wenn ...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 25.03.2024 13:30
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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