Aktuell in der AG

Die Irrelevanz außerbörslich erzielter Transaktionspreise für die Schätzung des Unternehmenswerts im Spruchverfahren (Schnorbus/Grimm /Detambel, AG 2024, 217)

In letzter Zeit ist das Spruchverfahren durch die aktuellen Reformen im Zusammenhang mit dem Gesetz zur Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie, dem Zukunftsfinanzierungsgesetz sowie durch einige gewichtige höchstrichterliche und obergerichtliche Entscheidungen in den Fokus der rechtswissenschaftlichen Literatur gerückt. Insbesondere vor dem Hintergrund der viel beachteten TLG/WCM-Entscheidung des BGH zur Zulässigkeit einer marktorientierten Schätzung des Unternehmenswerts anhand des Börsenkurses stellt sich die Frage, ob auch andere Marktpreise als der Börsenkurs eine taugliche Schätzgrundlage im Spruchverfahren darstellen. Der vorliegende Beitrag untersucht die Frage, ob eine Schätzung des Unternehmenswerts anhand von außerbörslich erzielten Transaktionspreisen rechtlich zulässig ist.

I. Einleitung
II. Der Verkehrswert eines Unternehmens als Gegenstand des Spruchverfahrens
III. Die Bedeutung von Transaktionspreisen in Rechtsprechung, Gesetzgebung, Literatur und Bewertungspraxis

1. Rechtsprechung
a) Rechtsprechung des BVerfG
b) Rechtsprechung des BGH
c) Instanzgerichtliche Rechtsprechung
aa) Transaktionspreis stellt regelmäßig keinen Verkehrswert dar
(1) Kein an einem organisierten Markt gebildeter Verkehrswert
(2) Preisbildung aufgrund subjektiver Wertvorstellungen, Sonderüberlegungen und Motive
(3) Unterschiedliche Bewertungszwecke
bb) Qualifizierung eines Transaktionspreises als Verkehrswert nur in Ausnahmefällen
2. Wertung des Gesetzgebers
3. Stimmen in der rechtswissenschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Literatur und Praxis
IV. Stellungnahme
1. Außerbörslich erzielter Transaktionspreis grundsätzlich kein Verkehrswert
2. Keine Differenzierung zwischen Vor‑, Parallel- und Nacherwerb
3. Berücksichtigung des Stichtagsprinzips
V. Ergebnisse


I. Einleitung

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Bei der durch das Gericht im Spruchverfahren zu beantwortenden Frage, ob eine den Anteilseignern als Entschädigung für den Verlust ihres Aktieneigentums gewährte Kompensation angemessen ist, handelt es sich um eine Rechtsfrage, die im Wege einer Schätzung nach § 287 Abs. 2 ZPO zu beantworten ist. Die Grundlagen dieser Schätzung müssen im Spruchverfahren zwar methodensauber, aber auch mit verfahrensökonomisch vertretbarem Aufwand geschaffen werden. Entsprechend der in der Praxis der Unternehmensbewertung bislang vorherrschenden Methode der Ertragswertermittlung nach IDW S 1 war die korrekte Durchführung der Ertragswertprüfung vielfach Dreh- und Angelpunkt des gerichtlichen Verfahrens. Neben dieser mittelbaren Ableitung des Unternehmenswertes sind in den letzten Jahren zahlreiche Entscheidungen ergangen, in denen Gerichte den Unternehmenswert unmittelbar anhand des Börsenkurses der Aktien des jeweiligen Unternehmens abgeleitet haben. Zuletzt hat der BGH dieses Vorgehen in seiner TLG/WCM-Entscheidung bestätigt und dabei sogar die Vorzugswürdigkeit einer solchen marktorientierten Schätzung des Unternehmenswertes hervorgehoben.

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Ausgehend hiervon ist in der Praxis zu beobachten, dass Antragsteller in Spruchverfahren die Unangemessenheit einer gewährten Abfindung zu begründen versuchen, indem sie auf außerbörslich erzielte Transaktionspreise, die den jeweils im Rahmen des Bewertungsverfahrens zugrunde gelegten Unternehmenswert übersteigen, verweisen. Ziel der Argumentation ist es, Transaktionspreise als Verkehrswerte einzuordnen, die einen indiziellen Rückschluss auf den „wahren“ Unternehmenswert zulassen. Transaktionspreise sollen so mit Börsenkursen gleichgesetzt werden und ebenso im Rahmen einer „marktorientierten“ Schätzung die Grundlage für die Ermittlung der angemessenen Abfindungshöhe im Spruchverfahren bilden.

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Fraglich ist, ob ein solcher indizieller Rückschluss von einem außerbörslich erzielten Transaktionspreis auf den Verkehrswert eines Unternehmens, also eine marktorientierte Schätzung auch anhand von Transaktionspreisen rechtlich zulässig ist. Dafür ist in einem ersten Schritt die Definition des Begriffs des Verkehrswertes eines Unternehmens, wie er Gegenstand des Spruchverfahrens ist, näher zu beleuchten (sogleich unter II.; Rz. 4 ff.). Sodann erfolgt eine Aufarbeitung des Meinungsstandes zur Bedeutung von außerbörslich erzielten Transaktionspreisen für Unternehmenswerte in Rechtsprechung, Literatur, Bewertungspraxis und anhand der Wertung des Gesetzgebers (III.; Rz. 10 ff.). Der Beitrag schließt mit einer eigenen Stellungnahme (IV.; Rz. 43 ff.).

II. Der Verkehrswert eines Unternehmens als Gegenstand des Spruchverfahrens
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Art. 14 Abs. 1 GG schützt das in der Aktie verkörperte Anteilseigentum des Aktionärs. Verliert ein Minderheitsaktionär diese mitgliedschaftliche Stellung durch eine Strukturmaßnahme oder wird er durch eine Strukturmaßnahme in relevantem Maße in dieser eingeschränkt, ist er hierfür nach der Rechtsprechung des BVerfG wirtschaftlich voll zu entschädigen, wobei die Entschädigung den „wirklichen“ oder „wahren“ Wert des Anteilseigentums widerzuspiegeln hat. Bei den Begriffen der „vollen Entschädigung“ oder des „wirklichen“ oder „wahren Wertes“ handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe, die durch den Begriff des Verkehrswertes interpretiert werden. Der Verkehrswert stellt im Spruchverfahren insoweit eine mögliche Grundlage für das Gericht dar, um die angemessene Barabfindung verfahrenseffizient zu schätzen.

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Eine gesetzliche Definition des Verkehrswertes findet sich etwa in § 194 BauGB. Dort heißt es: „Der Verkehrswert (Marktwert) wird durch den Preis bestimmt, der in dem Zeitpunkt, auf den sich die Ermittlung bezieht, im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach den rechtlichen Gegebenheiten und tatsächlichen Eigenschaften, der sonstigen Beschaffenheit und der Lage des Grundstücks oder des sonstigen Gegenstands der Wertermittlung ohne Rücksicht auf ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse zu erzielen wäre.“

Es handelt sich bei dem Verkehrswert also um einen (i) Preis, der (ii) im gewöhnlichen Geschäftsverkehr (iii) ohne Rücksicht auf ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse erzielt werden kann. Diese Definition des Verkehrswertes findet sich auch in § 9 Abs. 2 BewG sowie in § 19 Abs. 1 KostenO für den Begriff des gemeinen Wertes, der nach Rechtsprechung des BVerfG dem Begriff des Verkehrswertes entspricht.

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Der in der Verkehrswertdefinition enthaltene Begriff des „gewöhnlichen Geschäftsverkehrs“ meint dabei den „Handel, der sich nach den marktwirtschaftlichen Grundsätzen von Angebot und Nachfrage vollzieht und bei dem jeder Vertragspartner ohne Zwang und nicht aus Not, sondern freiwillig in Wahrung seiner eigenen Interessen zu handeln in der Lage ist. Der gemeine Wert kann auch aus einem einzigen Verkauf abgeleitet werden, wenn Gegenstand des Verkaufs nicht nur ein Zwerganteil ist. Ob die Parteien einen Preis vereinbart haben, der dem gewöhnlichen Geschäftsverkehr entspricht, ist nach ständiger Rechtsprechung nach den Gesamtumständen des Einzelfalles unter Heranziehung objektivierter Maßstäbe zu entscheiden. Auszuklammern sind dabei solche preisbildende Faktoren, die mit der Beschaffenheit der Anteile selbst nichts zu tun haben“.

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Die Begriffe „Verkehrswert“ und „gewöhnlicher Geschäftsverkehr“, wie vorstehend definiert, lassen sich einerseits abstrakt in verschiedene Rechtsgebiete und Kontexte übertragen, sind andererseits aufgrund ihrer Allgemeinheit aber auch für den jeweiligen Kontext zu spezifizieren. Wenn also der Verkehrswert als Schätzgrundlage für die Abfindung herangezogen werden soll, dann beschreibt dieser Wert in diesem Kontext einen typisierten Verkaufspreis für die typisierte Zielgruppe der Abfindung.

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Entsprechend ist die Definition des Verkehrswertes durch das BVerfG für den Verkehrswert, wie er im Zusammenhang mit Aktionärsabfindungen anlässlich gesellschaftsrechtlicher Strukturmaßnahmen und im Spruchverfahren zu sehen ist, in einen entsprechenden Kontext übertragen worden. So führt das BVerfG aus: "....
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 09.04.2024 13:42
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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